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Shusheta – El

Aristócrata

Ángel D'Agostino (05.04.1945)
Musik:     Juan Carlos Cobián (1920)
Text:     Enrique Cadícamo (1934/1944)
Voc:     Ángel Vargas

Juan Carlos Cobián, herausragender Bandoneonspieler und Komponist der Guardia Nueva, also der Musikergeneration, die den Tango vor und nach 1920 ins angehende Erwachsenenalter führte, komponierte Shusheta 1920 als Gran tango de salón para Piano, also als tanzbares Instrumentalstück.


Der etwas eigen klingende Ausdruck Shusheta entstammt natürlich dem Lunfardo.












MACOCO - der letzte Playboy




Abgeleitet aus dem italienischen sciuscetta bezeichnet es einen Dandy, einen eleganten Womanizer und reichen Frauenverführer. Kaum ein Tangohistoriker zweifelt daran, dass Cobián mit seiner Komposition auf den größten, reichsten und berühmtesten Playboy und Jet-Seter Argentiniens anspielt, nämlich seinen Freund Martín Álzaga Unzué (10.01.1901 bis 15.11.1982), in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts weltweit bekannt als Macoco und damals mindestens so berühmt wie Goldkehle Gardel.

Die Álzaga Unzué zählten und zählen zu den reichsten und mächtigsten Aristokratenfamilien Argentiniens, einer Kaste, die aus der Masse der Armen durch regelrecht unverschämten Reichtum herausstach und Anlass für das französische Sprichwort Reich wie ein Argentinier war.

Macocos Familie stellte führende Politiker und Militärs, besaß zahlreichen Paläste in Argentinien, aber auch in Paris, und kontrollierte mit ihrem unendlichen Landbesitz, der mit weiteren Palästen gespickt war, ganze Regionen.

Auch wenn an seiner Erziehung und Ausbildung die besten Internate Argentiniens und Europas scheiterten – aus den meisten flog er binnen Kürze wieder heraus –, tauchte er am Ende seiner Jugend, von Privatlehrern und dem literarischen Salon der Mutter geprägt, elegant, gutaussehend, polyglott, charmant und frauenverführend in die Welt der Großen und Schönen ein. Unter seinen vielen Liebschaften finden sich berühmte Namen wie Rita Hayworth, Greta Garbo, Marlene Dietrich oder Ginger Rogers.

Er pendelte zwischen Buenos Aires, Paris, Biarritz und New York und mischte sich einige Jahre unter die weltbesten Rennfahrer. Ab 1925 finden wir ihn in New York als Betreiber diverser Nachtclubs. Das in üppigem Art-Deco gestaltete El Morocco, an dessen Wände Macoco Felle von Zebras drapieren ließ, die auf einer von ihm selbst organisierten Safari in Afrika erlegt worden waren, galt in den Dreißiger Jahren als berühmtester, exklusivster Club weltweit. Könige der Coolness wie Gary Cooper, Humphrey Bogart oder Truman Capote tranken hier ihren Whisky, Marylin Monroe ging ein und aus. Roberto Alifano beschreibt in seiner Biografie Tirar manteco al techo (2002), dass Macoco sich zwischen den Zebrafellen sogar daran versuchte, unter den Augen von Salvador Dalí Charlie Chaplin das Tangotanzen beizubringen. Auch seine zweite Frau, Kay Williams, lernte Macoco hier kennen, ein berühmtes Vogue-Modell, das nach eher kurze Ehe anschließend an der Seite von Clark Gable die Titelseiten der Gazetten eroberte.

Bei all diesem Glamour wundert es nicht, dass Scott Fitzgerald sich von der schillernden Person des Martín Álzaga Unzué zu seinem Roman Der große Gatsby inspirieren ließ.

Butter an die Decke werfen


In den Zwanziger Jahren war Macoco das Paradebeispiel eines Niño Bien, wie die Argentinier Sprösslinge aus supereichen Häusern nannten. In bester Schickeria-Manier schleuderte Maroco mit seinen Schnösel-Freunden im Hotel Maxim’s in Paris mit Löffeln Butter Richtung Decke, um sie möglichst gezielt im Dekolleté einer Rubens-Walküre des Deckengemäldes zu platzieren und schuf damit das Bild für die in Argentinien sehr populäre Variante unseres Sprichwortes Auf den Putz hauen": Tirar manteca al techo







Warum der doppelte Titel Shusheta - El aristócrata

Cobián nahm Shusheta 1923 mit seinem Sextett erstmals auf.


1934 verfasste Enrique Cadícamo, mit Cobián seit über einem Jahrzehnt eng befreundet, auf dessen Bitten passende freche Verse, die aber nie für eine Aufnahme verwendet wurden.

Erst D’Agostino wollte in seiner Version im Jahre 1945 auch die Engelsstimme seines Sängers Ángel Vargas strahlen lassen. Weil das konservativ-autoritäre Militärregime, das seit Mitte 1943 an der Macht war, sowohl das Lunfardo als auch die Verwendung jeglicher irgendwie moralisch bedenklichen Wörter verboten hatte, musste Cadícamo allerdings seinen Text massiv überarbeiten. Und logischerweise wich auch der Lunfardo-Ausdruck Shusheta dem unverfänglichen El aristócrata.


Höranleitung

Man darf neugierig sein: Was macht D’Agostino aus dieser Komposition, die von fast schon aggressiven punktierten, zackigen Sechzehnteln und Zweiundreißigsteln lebt, die so gar nicht zur Eleganz seines Orchesters passen wollen.

Zurückhaltung und Reduktion sind die Antworten.

Den langen, einleitenden Instrumentalteil hindurch (bis 1:33) dominiert eine meist unisono, aber subtil magisch vorgetragene Melodia ritmica. Denn indem die Bandoneons und Geigen in fein arrangierten Mustern aus der Instrumentalgruppe ein- und aussteigen, filigran Akzente setzen, winzigkleine Soli unterjubeln, gemeinsam verzögern oder dynamische Wellen gestalten, erzählen sie mit knappsten Mitteln in luftiger Musikalität das Wesen dieser Komposition. D’Agostino selbst setzt, anfangs in den tiefen Registern, ab 0:45 mit sich zu einem wunderbaren Solo entwickelnden, perlenden Melodielinien der rechten Hand Kristallen gleichende Akzente, denen das Orchester durch kurzzeitige noch größere Zurücknahme Raum gibt. Wenn für die letzten 120 Sekunden Ángel Vargas Stimme im Zentrum steht, scheinen sich die skizzenhaft gespielten Phrasen der Instrumente wie Girlanden um diese warme Stimme zu schmiegen.


ERSTER TEXT (1934)

 

Pobre shusheta, tu triunfo de ayer

hoy es la causa de tu padecer...

Te has apagao como se apaga un candil

y de shacao sólo te queda el perfil,

hoy la vejez el armazón te ha aflojao

y parecés un bandoneón desinflao.

Pobre shusheta, tu triunfo de ayer

hoy es la causa de tu padecer.


Yo me acuerdo cuando entonces,

al influjo de tus guiyes,

te mimaban las minusas,

las más papusas

de Armenonville.

Con tu smoking reluciente

y tu pinta de alto rango,

eras rey bailando el tango

tenías patente de gigoló.


Madam Giorget te supo dar

su gran amor de gigolet,

la Ñata Inés te hizo soñar...

¡y te empeñó la vuaturé!

Y te acordás cuando a Renée

le regalaste un reló

y al otro día

la fulería

se paró.


ZWEITER TEXT (1934)

Toda la calle Florida te vio

con tus polainas, galera y bastón...


Dicen que fue, allá por su juventud,

un gran Don Juan del Buenos Aires de ayer.

Engalanó la puerta del Jockey Club

y en el ojal siempre llevaba un clavel.


Toda la calle Florida te vio

con tus polainas, galera y bastón.


Toda la calle Florida lo vio

con sus polainas, galera y bastón.


Apellido distinguido,

gran señor en las reuniones,

por las damas suspiraba

y conquistaba

sus corazones.

Y en las tardes de Palermo

en su coche se paseaba

y en procura de un ensueño

iba el porteño

conquistador.


Ah, tiempos del Petit Salón...

Cuánta locura juvenil...

Ah, tiempo de la

sección Champán Tango

del Armenonville.


Todo pasó como un fugaz

instante lleno de emoción...

Hoy sólo quedan

recuerdos de tu corazón...


Toda la calle Florida lo vio

con sus polainas, galera y bastón.



Versionen:


Juan Carlos Cobián (1923)

interpretiert seine eigene Komposition mit viel Pizzicato.

Trotz des damals noch eingesetzten akustischen Aufnahmeverfahrens, das alle Klänge durch einen Trichter gequetscht in die Rille ritzt, ist die rhythmisch-zackige Energie dieser Komposition gut spürbar.



Carlos Di Sarli (1940)

kostet die Kraft der rhythmischen Sechzehntel am intensivsten aus!




Horacio Salgán (1951)
zelebriert in seiner ersten Einspielung seine vom Jazz inspirierten rhythmischen Spielereien.



Osvaldo Pugliese (1970)
verzichtet in seiner Version auf Bandoneons!



Roberto Goyeneche (1984)
genannt El Polaco, legendärer Interpret der Tangospätzeit, knetet und formt die Verse mit seinem einzigartigen Timbre. Er wird begleitet von den grandiosen Musikern des Sexteto Tango, die aus dem Orchester Puglieses hervorgingen.




Aber auch aktuelle Orchester sind von dieser Kompostion fasziniert, wie z.B. das Sexteto Ensueño oder das


Sexteto Cristal - Halle - 2021
Es tanzen Lorena Tarantino and Gianpiero Galdi