Orquesta Típica Osvaldo Pugliese
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Stildramatisch, subtil, sperrig, betörend, leidenschaftlich,
widersprüchlich |
Wichtige Aufnahmen:La Yumba, Negracha, Recuerdo, Pasionál |
Wichtige Sänger:Roberto Chanel (1943- 1948), näselnder Feingeist Jorge Maciel (1954 – 1968) |
Bedeutende Musiker:Bandoneon: Osvaldo Ruggiero, Emilio Balcarce |
EinführungTango ist ein Baum, der immer Früchte tragen wird, denn er wächst und gedeiht auf fruchtbarem Boden: der Seele der Menschen. (Osvaldo Pugliese). Seine Musik begeistert und verwirrt. Sie zählt zum Reichsten und Vielfältigsten innerhalb des Tango Argentino. In Argentinien verehrten manche ‚San Pugliese‘, der für sein Wohlwollen und seine Milde bekannt war, wie einen Heiligen. Pugliese und seine Musiker prägten über Jahrzehnte maßgeblich die Entwicklung des Tango und erlebten als einziges der großen Orchester den neuerlichen Tangoboom seit den 1980er-Jahren. Eine zum richtigen Zeitpunkt gespielte Pugliese-Tanda ist für viele Tänzer der Höhepunkt einer Milonga. Werfen wir einen Blick auf diesen außergewöhnlichen Menschen und seine Musik. |
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Die ersten Jahre
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Der GewerkschafterBevor Pugliese 1939 sein berühmtes eigenes Orquesta
Típica gründete, finden wir ihn als Pianisten bei Pedro
Maffia, Pedro Laurenz (1934) und Miguel
Caló (1936). Mehrere von ihm in den 30er-Jahren
angestoßene Orchesterprojekte zusammen mit progressiven
Musikern wie
Vardaro, Gobbi oder Ciriaco Ortiz
lösten sich bald wieder auf. Denn in den wirtschaftlich
schwierigen Jahren nach 1930 überlebten viele Musiker nur
mühsam und unter oft ausbeuterischen Bedingungen.
Arbeitszeiten von 18.00 Uhr bis 6.00 Uhr am nächsten
Morgen, meist nur unterbrochen von einer Essenspause,
waren üblich, und das an sieben Wochentagen. Argentinien und seine Regierungen waren meist unternehmerfreundlich, Präsident Yrigoyen ließ 1919 in der semana tragica Arbeiterwiderständ von der Armee niederballern, 700 Menschen starben, 1920-1922 kostet ein Streik unter Farmarbeitern 1500 Menschen das Leben. Für Puglieses politische Einstellung prägend war aber der Militär-Putsch von 1930, der die decada infamia einleitete. Doch Pugliese wurde aktiv. Er glaubte an die Kraft des
Kollektivs und des gemeinsamen solidarischen Handelns.
Daher gründete er eine Musikergewerkschaft, organisierte
Streiks und erreichte Verbesserungen. Von nun an war er ein ‚Aufwiegler‘. Arbeit fand sich noch
schwerer. Osvaldo war ein konsequenter Mensch, der immer
zu seinen Überzeugungen stand. Und so überrascht es nicht,
dass er 1936, anlässlich des Spanischen Bürgerkriegs, in
die kommunistische Partei eintrat. Im selben Jahr heiratete er seine erste Frau Mariá Concepción Florio. Seine ihm sein Leben lang auch musikalisch eng verbundene Tochter Beba Pugliese ist noch heute als Tango-Musikerin aktiv. |
Das OrchesterNach vier gescheiterten Versuchen, mit eigenem Orchester
anzutreten (1936, 1937, 2x1938) klappte es endlich 1939.
Sänger dieser ersten Phase waren zunächt Amadeo Mandarino, der 1941 zu Troilo, wechselte, dann Augusto Gauthier. Er zog Ende 1943 zu José García weiter.
... ein KollektivPugliese war Kommunist, und so organisierte er zeitlebens
seine Orchester als Kollektiv:
...gemeinsames ArrangierenAuch die Arbeit an der Musik erfolgte kollektiv. Neue
Stücke wurden gemeinsam arrangiert, die Solisten brachten
selbst Ideen ein. All das schweißte zusammen, sodass die
Band auch Zeiten der politischen Verfolgung überstand.
...gemeinsam gegen die DiktaturDer Maestro selbst saß wegen seiner kommunistischen Orientierung wiederholt monatelang im Gefängnis und wurde von den autoritären, rechtsgerichteten Militärjuntas immer wieder mit Auftritts- und Aufnahmeverboten belegt. Durfte Osvaldo selbst nicht auftreten, so erinnerte stets eine Rose auf dem Klavier an seine Abwesenheit, andere Musiker der Band übernahmen gelegentlich den Klavierpart. Oft genug musste auch die ganze Band vor der Polizei flüchten oder wurden als Schikane genau für die Zeit des Auftritts in Poizei-Gewahrsam genommen. Eines Abends verhandelte ein Veranstalter mit der Polizei und erreichte, dass diese erst nach dem Ende des nächsten Tangos zugreifen dürfe. Die eingeschworenen Musiker spielten daraufhin so lange La Cumparsita, bis die Polizei wieder abzog. Nachdem Peron seine Macht ausbaute, waren bis 1948 unter anderem alle Radio-Stationen vom Staat übernommen worden., als Kommunist hatte Pugliese letztendlich bis 1953 mit Unterbrechungen, immer wieder Auftrittsverbote und war von allen Radiostationen gebannt. Die überschaubare Anzahl an Aufnahmen der Zeit sind allerdings beeindruckend intensiv, wie z.B. Patetico oder Negracha (1947) oder Malandraca und Cananro en Paris (1949). Nur teilweise gelangen der Band Auftritte, manchmal nur ohne ihren Leiter und Pianisten San Pugliese.
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Seit Beginn 1955 saß Pugliese schließlich für ein halbes
Jahr als politischer Gefangener im Knast, hielt seine
Finger durch Trockenübungen auf dem Tisch fit und wurde
von seiner Frau täglich mit Essen versorgt, die wiederum,
von der Nachbarschaft unterstützt wurde. San Pugliese war
ein verehrter Mann. Der erste Tango, den die Band nach seiner Freilassung aufnahm, trägt den programmatischen Titel Emancipación (1955) und diese wunderschönen Beats scheinen durch jede Phrase leisen Jubel rieseln zu lassen, der in der intensiven Variaçión kulminiert.
Auch in den 70ern war Pugliese einige Jahre vom TV
gebannt, erst ab 1980, der Tango war nur noch eine
Randerscheinung, durfte Pugliese ohne Einschrängungen
wieder auftreten. |
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Die MusikDie ersten JahreZwar startete das Orchester 1939, aber erst 1943 kam ein
Plattenvertrag zustande, Michael Lavocah spürt der Genese
hin zum Pugliese-Sound in diesen vier scheinbar
undokumentierten Jahren anhand von erhaltenen
Radio-Mitschnitten nach. Anschließend dokumentieren die 74 Aufnahmen, die bis 1947
entstanden, die stetige Entwicklung und Reifung. Repertoire und Struktur der Stücke folgten zunächst,
weicher und weniger krass, der Tradition Julio De Caros. Stücke aus der De Caro-Schule wie Mala Junta
(1943), Tierra Querida, El Arranque, Amurado (1944),
El Monito oder Tiny (1945)
und Boedo (1948) bilden den Kern des
Repertoires. Recuerdo, Adiós Bardí oder Las
Marionetas, alles Kompositionen Puglieses,
fügen sich hier ein. Aber auch El Taita
oder Derecho Viejo (mit wilden, teilweise
kaskadenartig fallenden Violin-Läufen) fügen sich zu
diesen in ihrer Struktur noch einigermaßen klassischen,
aber gleichzeitig im Arrangement sehr subtilen Tangos.
Auf dem Weg zu La Yumba
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Die MusikerVon 1939 bis 1958 bildeten Osvaldo Ruggiero, Enrique
Camerano und Ancieto Rossi zusammen mit Pugliese den
harten Kern der Truppe.
Osvaldo PuglieseIn Puglieses Klavierspiel spiegelt sich sein Wesen: Er
drängte sich mit seinen Fähigkeiten nie in den
Vordergrund, ließ seinen Musikern viel Raum – aber alles,
was er spielte, war wesentlich. Als kleiner, zierlicher
Mensch rührte er die Menschen mit seinem einfühlsamen
Spiel, konnte aber auch mit beeindruckend brachialer
Gewalt ausdauernd die tiefen Yum-Ba-Akkorde ins Klavier
hämmern, die so entscheidend für die wuchtig stampfenden
Partien des Puglieses.Klangerlebnisses sind.
Osvaldo RuggieroOsvaldo, autodidaktischer Bandoneon-Virtuose, war erst 17
Jahre alt, als er 1939 in das Orchester eintrat. Sein Stil
trug wesentlich zur Entwicklung des Pugliese-Sounds bei.
Mitte der 40er sprach man vom Orchester der beiden
Osvaldos. Viele Kompositionen und Arrangements gehen auf
ihn zurück. Gemeinsam mit Jorge Caldara leitete er
musikalisch, energisch und manchmal wild die langen Haare
schleudernd die fila de banondeón, sodass die Fans
(jedes Orchester hatte damals seine barra, seine Gang)
durchdrehten. Sein Stil lebte von Dynamik, Überraschung,
Wechsel zwischen Lieblichem und Rauhem, er wechselte
mühelos zwischen rechter und linker Hand und damit
zwischen den Registern des Bandoneons.
Jorge Caldara (1924-1967)
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Die Sänger
Roberto Chanel (1943-1947),lang, dünn, mit riesiger Nase, was ihm den Spitznamen ‚El
Turco‘ (der Araber) einbrachte, war wenig
attraktiv. Doch mit seinem filigranen, etwas näselnden
Gesang, den er zu Hause mit der Gitarre an seinem Vorbild
Gardel schulte, schlug er die Menschen in seinen Bann. Ich
mag seine Stimme nicht so gerne.
Alberto Morán (1945 - 1954)
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Die späten Jahre
Sexteto TangoKrank und müde musste sich Pugliese 1968 zurückziehen. Er
empfahl seinen besten Leuten, sich zwischenzeitlich als
Sextett durchzuschlagen. Doch ihr Erfolg war so groß, dass seine jahrelangen
Gefährten sich schließlich selbstständig machten. Julián
Plaza legte dafür sein Bandoneon zur Seite und übernahm
den Klavierpart. Pugliese stellte in der Folge mit Unterstützung seiner Tochter ein neues Orchester auf die Beine. Und es klang wieder grandios.
Das Konzert im Teatro ColónDas Teatro Colón war und ist der Musen-Tempel von Buenos Aires, Treffpunkt der Upper Class, Veranstaltungsort der Hochkultur, vergleichbar mit der Carnegie Hall in New York oder der Mailänder Scala. So war es natürlich eine finale Genugtuung für den
jahrzehntelang geächteten Kommunisten, dass er anlässlich
seines 80. Geburtstags in den heiligen Hallen ein Konzert
geben durfte, das dann, Witz der Geschichte, wegen eines
von der Gewerkschaft organisierten Streiks um eine Woche
verschoben werden musste. Die 3.500 Tickets waren
jedenfalls binnen eines Tages verkauft, letztendlich
drängten 5.000 Menschen in den Konzertsaal, um den Meister
zu feiern. Noch heute rühren die Bilder und die Musik
(Youtube) zutiefst und zeugen von Größe und Zurückhaltung
des Menschen und Musikers Osvaldo Pugliese. TourneenMusik verbindet, davon war San Osvaldo überzeugt. SU und China 1959 1959 tourte das Orchester vier Monate durch die
kommunistischen Länder UdSSR (80 Städte, bis zu drei Shows
täglich) und China (28 Städte) vor bis zu 50.000 Menschen
(Fußballstadion, Armenien). Die Konfrontatin der
Kommunisten der Band (Pugliese, Spitalnik) mit dem realen
Sozialismus sorgte für viel Gesprächsstoff in der Band. Japan 1964 und 1979
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Locura Tangera (1966)
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Die PersonPugliese war für seine Bescheidenheit berühmt. Er liebte die Menschen, aber für seine Überzeugungen, und dazu zählte natürlich seine Musik, trat er mit absoluter Konsequenz ein. Seine Proben waren oft intensiv, teilweise agierte er streng, war aber oft auch sehr witzig. Und jedem Bandmitglied war klar: Ein Verlassen des Orchesters war endgültig, ein Zurück gab es nicht. Dies galt auch für die Musiker des Sexteto Tango, die über Jahrzehnte mit Pugliese alle Erfolge, aber auch alle Verfolgungen geteilt hatten. Puglieses erste Frau Maria Conceptión verstarb 1971, mit ihr zusammen hatte er die Tochter Beba, die Pugliese vor allem seit den 70ern bei der musikalischen Arbeit unterstützte. Die zweite große Partnerin war Lydia Elmann, die Pugliese
seit 1949 kannte, und die bis zu seinem Tod an seiner
Seite stand.
Der Komponist - Recuerdo
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Pugliese für Tänzer
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Das legendäre Desde el Alma (1979)lässt Herzen schmelzen - und dieses Paar auch!
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RecuerdoNoelia Hurtado and Carlitos Espinoza - 2018 - Belgrad
Mala JuntaSabrina Masso and Federico Naveira - San Francisco - 2018 |
Reifes und SpätesPuglieses Werk ist zu umfangreich, um seine
Vielfältigkeit hier auch nur anzudeuten.
Yunta de OroDante Sanchez & Indira Hiayes - Istanbul 2019
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La TupungatinaNatalia Cristobal Rivé & Jérémy Braitbart - Paris Octobre 2012De FloreoJavier Rodriguez & Fatima Vitale – Sunderland 2015 |