Orquesta Típica Enrique Rodriguezund sein Orquesta de todos los ritmos
|
Eine schöne Diskografie findet man bei La Milonga di Alvin. |
Stileinfach, rhythmisch, fröhlich Merkmaleder Schlussakkord fehlt |
Größte Hits:Tengo mil novias (1939), Son cosas del bandoneón (1939) |
Wichtige Sänger:Robert ‚El Chato‘ Flores (1907 - 1981) |
Bedeutende Musiker:- Piano: - Bandoneon: Alfredo Attadia, Eduado del Piano - Geige: Alberto de Bagno |
Die Sentenz, Tango sei ein trauriger Gedanke den man
tanzen kann, verbindet wohl kaum jemand mit der Musik von
Enrique Rodríguez und seinem ‚Orquesta de todos los
ritmos‘. ‚Bailar todos los ritmos‘ war der Slogan des Orchesters. Entsprechend beschränkte sich das Repertoire nicht nur auf rund 130 Tangos, 40 Valses und 15 Milongas. Die Fans liebten und lieben genauso die lustigen, lebhaften und leichtfüßigen Märsche, Polkas, Pasodobles, Corridas, vor allem aber die 68 Foxtrotts, die heute noch als Milonga-Ersatz einem Tangoabend lockere Beschwingtheit einhauchen können und Rodríguez den Titel ‚König des Foxtrotts‘ sicherten. Entsprechend sind, für ein Tango-Orchester untypisch, Klarinette, Posaune und Schlagzeug Teil des Orchestersounds. Mit großer Freude saugte Rodriguez auch weltweit Liedgut wie Wiener Walzer, ungarische Tänze oder kolumbianische Cumbia auf, um diese als Tango- oder Foxtrott-Arrangements kommerziell sehr erfolgreich zu verwerten.
Auch wenn, vor allem in Argentinien, manche Tangopuristen
das ‚Orquesta des todos los ritmos‘ angesichts dieser
‚Sünden‘ naserümpfend ablehnen, garantieren die positive
Energie, die klare, abwechslungsreiche Rhythmik sowie die
beiden herausragenden Sänger Roberto Flores und Armando
Moreno auch heute unbeschwertes Tanzen, sodass Rodríguez
einen festen Platz in den Milongas rund um die Welt hat.
Das Orchester aller RhythmenWie viele andere begann Enrique seine Karriere als
Bandoneon spielender Begleiter von Stummfilmen im Kino der
Nachbarschaft. Doch erst nach langen, wechselhaften Jahren
in verschiedenen Orchestern – wobei die Zeit beim
lustig-lebendigen Rhythmiker Edgardo Donato sicher am
prägendsten war – ging der vielseitige Musiker, der
gleichermaßen Bandoneon, Klavier und Geige spielte, Mitte
der Dreißiger eigene Wege. Zunächst begleitete er 1934 mit
einem Trio den später als Sänger von Aníbal Troilo
legendären Francisco Fiorentino. 1935 lieferte sein
Quartett die Harmonien für die Sängerin María Luisa Notar,
die er noch im gleichen Jahr heiratete.
Tanzmusik purDer Meister der vielen Stile verstand sich nie als
Avantgarde, er wollte, dass seine Fans tanzen, sich
amüsieren und einen glücklichen Abend verbringen.
Entsprechend bevorzugte das Orchester, das man am ehesten
in die Tradition der Rhythmiker wie D’Arienzo oder Donato
einordnet, leichte, witzige und manchmal auch etwas
alberne Nummern mit einfachen Harmonien und Melodien, die
in der Regel sofort in den Beinen jucken und die
Anwesenden auf die Tanzfläche reißen. Der klare Compás
überrascht die Tänzer nicht, ist aber gleichzeitig voller
kleiner Abwechslungen. Die leicht sonore, kräftige,
rhythmisierend phrasierende Stimme Morenos verleiht den
Aufnahmen eine solide Lebendigkeit. So manches allerdings,
da muss man den Kritikern schon recht geben, kommt sehr
simpel daher und driftet in Richtung belanglos klimpernder
Karussellmusik ab.
Lyrische Eskapaden 1944 bis 1946Rückblickend staunt man, wie schnell sich die Moden im
Tango änderten, wie schnell er sich innerhalb weniger
Monate weiterentwickelte. Im Anschluss an die
Uptempo-D’Arienzo-Jahre kehrten viele Orchester spätestens
1942 zu einem ruhigeren, lyrischeren Stil zurück.
Rodríguez schloss sich dem Trend relativ spät, erst 1943,
an; die Aufnahmen strahlen nun mehr Ruhe aus. Doch 1944
wagte der König des Foxtrotts einen mutigen Neubeginn: Er
entließ seinen Pianisten Eusebio Giorno, der bisher das
Zentrum des Orchesters gebildet hatte und angeblich nach
dieser Enttäuschung nie wieder ein Klavier anfasste, und
holte sich stattdessen drei neue, herausragende Musiker
und Arrangeure ins Boot: Roberto Garza (Bandoneon) und
Armando Cupo (Piano) sorgten zusammen mit dem Bassisten
Omar Murtagh, der zwischendurch auch das Cello strich,
dafür, dass auch im Hause Rodríguez feinfühlige, subtile
und anspruchsvolle Tangos wie Naranja en flor, Éste es tu
Tango oder Luna llena mit Gegenmelodien, synkopischen
Rhythmen und komplizierterer Melodieführung und bisher
unüblichen Soli gespielt wurden, die sich vor Nummern von
Troilo oder Calo nicht verstecken müssen. Nachdem Anfang
1946 Armando Moreno zusammen mit Roberto Garza das
Orchester verließ, um eine wenig nachhaltige Solokarriere
zu starten – und wohl auch, weil das Publikum den Schwenk
hin zum Anspruchsvollen nicht honorierte – kehrte
Rodríguez aber wieder zu seinem alten Stil zurück.
Der KomponistAuch als Komponist war Rodríguez, in Zusammenarbeit mit den großen Textern dieser Jahre, sehr erfolgreich. Neben seinem größten Verkaufserfolg, dem lustigen, für das Genre untypisch ironischen und etwas albernen Vals Tengo mil novias, flossen aus seiner Feder von ihm selbst interpretierte, wunderbare Tangos wie Son cosas del bandoneón, Amigos de ayer, En la buena y en la mala, Iré, Llorar por una mujer oder Lagrimitas de mi corazón. Als Komponist arbeitete Enrique übrigens am liebsten mit dem Texter Enrique Cadícamo zusammen, mit dem er gut befreundet war.
Starke StimmenLeicht hatten es Rodríguez Sänger nicht. Die Arbeitsbelastung war gigantisch. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Orchestern beschränkte sich Rodríguez ja meist nur auf einen Sänger. Außerdem bestritt er als ‚Orquesta de todos los ritmos‘ die Tanzpartys alleine, statt sich mit einer ‚Jazz‘- oder ‚Tropical‘-Combo die Bühne zu teilen. Beeindruckend ist, mit welcher Lässigkeit und Selbstverständlichkeit Flores und noch viel mehr Moreno unterschiedlichste Genres und Stimmungen mal ausgelassen-fröhlich, mal lyrisch gefühlvoll interpretieren konnten.
Roberto ‚Chato‘ Flores (Die Stupsnase)1907 - 1981 Die ersten Jahre seiner künstlerischen Laufbahn schlug sich Domingo Patti, so sein Geburtsname, in gleichen Teilen als Schauspieler und Sänger durch. Erst nachdem der mittlerweile 30-Jährige 1937 von Rodríguez entdeckt worden war, entwickelte er sich zum Superstar. Bis Ende 1939 entstanden 35 gemeinsame Aufnahmen, von denen viele – vor allem aber Tengo mil novias und Son cosas del bandoneón – zu ganz großen Hits wurden. Doch dann gelang es RCA Victor, dem mit Odeon konkurrierenden Plattenlabel, den beliebten Sänger abzuwerben, um Flores erfolgreich als Solo-Künstler des Hauses RCA aufzubauen. Als solcher blieb ‚El Chato‘ zwar die nächsten beiden Jahrzehnte im Geschäft und absolvierte zahlreiche Tourneen durch die Provinz sowie die angrenzenden Länder Südamerikas, an die Erfolge der späten 30er-Jahre mit Rodríguez konnte er aber nicht mehr anschließen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Kolumbien, wo er 1981 auch verstarb.
Armando Moreno (Armando Bassi)1921 - 1990
|
Enrique Rodríguez für TänzerZackige Tangos mit Roberto ‘El Chato’ FloresMit treibenden Vierteln und Achteln starten Déjame ser así (1938), Con permiso señorita (1939), Te quiero ver escopeta (1939) oder der Superhit Son cosas del bandoneón (1939), während Mi verdad (1938), ¿Vendrás alguna vez? (1938) oder Un copetín (1939) der Melodie etwas mehr Raum geben. Mosterio (1939) mit lustigem Hintergrundgequake lebt mehr von Blödelei als von Musikalität.
|
||
Klassiker mit Armando MorenoDutzende gelungene, sich durchaus ähnelnde Tangos entstanden zwischen 1939 und 1942. Hierzu zählen neben vielen anderen Cómo se pinta la vida (1940), Contigo, pan y cebolla (1940, mit lachendem Chor und Quietschstimme), Suerte Loca (1941), El Encopao (1942), Marinero (1943, mit nettem Frage-Antwortspiel) oder La Gayola (1943). Die wenigen
Instrumentalaufnahmenwie La Torcacita (1940), Jueves (1941) oder Florida (1941) machen deutlich, wie sehr die Musik von der Stimme Morenos lebt. „Warum singt er denn jetzt nicht“, denke ich mir jedes Mal, ohne Gesang wirken die Nummern etwas nackt, stecken aber doch voller Rhythmus, wie die Performance von German Cuestas & Eva Lehrmann zu “El Morochito" perfekt zeigt. |
Danza Maligna - 1940 - Morenovon Javier y Noelia - Seoul - 2013 |
|
Feinfühlige TangosAuch Rodríguez ging es ja nach 1942 langsamer an, wie Nummern wie Iré (1943) oder Que Lo Sepa El Mundo Entero (1943) zeigen. Sie erreichen aber nicht die Raffinesse und Feinheit in der Textur wie z.B. Traje de novia, La vi llegar, Tu íntimo secreto oder Tú!... El cielo y tú! des Jahres 1945, die mit einfühlsamen Geigensoli, Gegenmelodien und emotionalem Gesang eine für Rodriguez sonst ganz ungewohnt melancholische Stimmung aufs Parkett zaubern, ohne dabei Zugeständnisse an die Tanzbarkeit zu machen. |
Que lente corre el trenCarlitos Espinoza & Noelia Hurtado - 2012 - Mêze
Yo No Se Porque Razon"Murat and Michelle - 2014 |
|
FoxtrottsMilongas stehen erstaunlicherweise bei diesem Tanzorchester nicht an erster Stelle, aber warum auch, Rodríguez war ja der König des Foxtrotts – und auf die langsameren kann man wunderbar eine gutgelaunte Milonga tanzen. Die größten dieser Hits gehen oft auf Schlagererfolge anderer Genres zurück: La Colegiala (1938, Flores) ist eigentlich ein Klassiker der Cumbia, Para mé eres divina (1938, Flores) beruht auf dem alten jüdischen Song Bei mir bist du schein. Sehr beliebt waren und sind außerdem die von Moreno gesungenen Amor en Budapest (1940), Noches de Hungría und Suavemente (beide 1942) oder der von Show-Tanzpaaren oft gewählte Reißer Zapatos rotos (1955, Ernesto Falcón). Und Candombe konnte Enrique natürlich auch: El tucu-tun (1943, Moreno). |
Zapatos rotosMariano Otero y Alejandra Heredia - Leipzig - 2010 |
|
Valses zwischen Jahrmarktsschunkeln und KarussellfahrenTengo mil novias (1939, Flores) war zwar Rodríguez größter Hit und ist voller Fröhlichkeit, enthält aber auch alles, wofür Rodriguez kritisiert wurde: einen simplen Compás, wenig Musikalität, einfache Melodien, alberne Choreinwürfe. Ähnlich gestrickt sind Fru Fru (1939, Flores), Solita y sola oder Los Gitanos (beide 1942, Moreno), bei denen man – tanzt man tatsächlich zur Musik – eigentlich nur in wildem Schunkeln enden kann. La Maja Aristocrática (1938, Flores), Salud, Dinero, Amor, Los Piconeros (beide 1939, Flores), Con tu mirar (1941, Moreno), En El Volga Yo Te Espero (1943, Moreno) lassen sich dagegen zu wunderbar beschwingten Tandas kombinieren. |
IsabelitaMaja Petrovic und Marko Miljevic - 2011/td> |